MR Übersetzungsliteratur
im dt. Frühhumanismus
MRFH | Marburger Repertorium zur Übersetzungsliteratur im deutschen Frühhumanismus |
Johann Reuchlin
Zeittafel
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"Reuchlin! Wer will sich mit ihm vergleichen, zu seiner Zeit ein Wunderzeichen." So zollte Johann Goethe noch Jahrhunderte später in den Zahmen Xenien (V) Johannes Reuchlin (1455-1522) seine Bewunderung. Neben Erasmus von Rotterdam war Reuchlin der bedeutendste Humanist nördlich der Alpen. Er übersetzte als erster in Deutschland aus dem Griechischen, gab 1506 eine hebräische Grammatik heraus und führte das jüdische Schriftum erstmals in die Bibelforschung ein. Zusammen mit Erasmus und Ulrich von Hutten wurde Johannes Reuchlin, die unsterbliche Zierde Deutschlands (Nachruf seines Schülers Johann Alexander Brassicanus), ein Platz in der Ruhmeshalle Walhalla zuteil. Der aus Pforzheim stammende Reuchlin, der in Freiburg, Basel, Paris, Orleans und Poitiers studiert hatte, schloss sein Jura-Studium an der neu gegründeten Universität Tübingen ab, wo er 1485 den Doktor des weltlichen Rechts erwarb. Obwohl Reuchlins Hauptwerk bereits der Epoche des Hochhumanismus angehört, sollen seine frühen deutschen Schriften, seine Übersetzungen und Briefe, die größtenteils zwischen 1482 und 1495 entstanden sind, hier noch vorgestellt werden, weil sie vor allem mit dem württembergischen Herrscher Eberhard im Barte verbunden sind, der zu den bedeutendsten Adressaten und Förderern des deutschen Frühhumanismus gehört. Eberhard, dem selbst auf Wunsch des Vaters eine lateinische Ausbildung verwehrt blieb, war den wissenschaftlichen Studien, insbesondere den neuen studia humanitatis gegenüber sehr aufgeschlossen. Nach dem Vorbild von Freiburg und Basel gründete er 1476/77 die Universität Tübingen und war stets bemüht, auch akademische Vertreter der neuen Richtung für seine Universität zu gewinnen. Er förderte den jungen, in Frankreich ausgebildeten Reuchlin, nahm ihn schon 1482 auf seine Italienreise mit, wo er u.a. in Florenz mit Lorenzo di Medici und in Rom mit Sixtus IV. zusammentraf. Italien – insbesondere Florenz – war für Johannes Reuchlin nach eigenem Bekunden ein ganz besonderes Erlebnis. Insgesamt hat er drei Reisen nach Italien unternommen, u.a. 1490, als er auch mit Giovanni Pico della Mirandola zusammenkam, der zum großen Vorbild für Reuchlins neuplatonische und kabalistische Studien wurde. Reuchlin muss sich auf seiner ersten Italienreise (1482) große Anerkennung bei Eberhard im Barte erworben haben, denn schon wenig später finden wir ihn in einer ausgesprochenen Vertrauensstellung am württembergischen Hof. 1483 erscheint Reuchlin unter Eberhards gelehrten Räten, eine Stellung, die er bis zu Eberhards Tod (1496) beibehält. 1486 wird er zusammen mit dem Kanzler Ludwig Vergenhans zum Frankfurter Reichstag geschickt, um wenig später als württembergischer Beobachter der Krönung Maximilians zum deutschen König in Aachen beizuwohnen. Erhalten hat sich in deutscher Sprache Reuchlins Bericht an Eberhard über die Krönungsfeierlichkeiten. Auch Reuchlins nächste deutschsprachigen Schriften sind an Eberhard im Barte adressiert. Anlässlich des Wormser Reichstags, auf dem Eberhard am 1. August 1495 in den Herzogsstand erhoben wird, ließ ihm der Humanist von Juli bis September mehrere Übersetzungen aus dem Griechischen zukommen: seine Übertragung des 12. Totengesprächs Lukians (MRFH 10210) sowie drei Reden des Demosthenes, die er aus krichischer sprach in das swebisch-teutschs gebracht (zitiert nach Amelung S. 170) hatte. Von diesen Reden hat sich nur noch die erste olynthische Rede (MRFH 10200 und Lukians Totengespräch MRFH 10210) erhalten. Nach Eberhards Tod verließ Reuchlin Württemberg, weil er Nachstellungen durch den Augustiner Konrad Holzinger, einen Günstling Eberhards d. J. befürchtete. Er ging nach Heidelberg, wo er im Kreis des Wormser Bischofs und pfälzischen Kanzlers Johann Dalberg freundlich aufgenommen wurde. Nach Auskunft des Trithemius hatte Reuchlin zuvor eine deutsche Versbearbeitung aus dem 3. Buch der Ilias verfasst, die offenbar für Dalberg bestimmt war, der sich am 12. Dezember 1491 bei Reuchlin für die aus dem Griechischen übertragenen Verse bedankte (Briefe, Bd. 1, Nr. 50). Auch diese deutsche Übersetzung bleibt verschollen. Dalberg gewidmet ist überdies 'De verbo mirifico', ein als Dialog gestaltete Schrift über die göttliche Offenbarung der Worte, den der griechische Epikureer Sidonis, der Jude Baruchias und der Christ Capnion führen. In Reuchlins Heidelberger Zeit entstanden auch zwei lateinische Komödien, 'Sergius' (1496) und 'Henno'(1497), die den Beginn des humanistischen Schuldramas in Deutschland einleiten. 1501 übersandte Reuchlin dem Pfalzgrafen Philipp,dem besten Fürsten, seine deutsche Übersetzung von Ciceros 'Tuskulanischen Gesprächen', die mit Reuchlins eigenhändig geschiebenen Erläuterungen und Kommentaren im Heidelberger Cpg 482 (MRFH 10420) erhalten geblieben ist. Erst nach der Absetzung Eberhards d.J. konnte Reuchlin 1499 nach Württemberg zurückkehren. Hier übernahm er als Nachfolger des Johannes Vergenhans (Naukler genannt) von 1502-1513 das Amt des Richters für die Fürsten im Schwäbischen Bund; ab 1503 hatte dort auch der mit ihm befreundete und einst zum Tübinger Kreis um Eberhard im Barte zählende Johannes Sträler, der u.a. 1491 Reuchlins jüngeren Bruder als Praezeptor zu Studienzwecken nach Florenz begleitet hatte, das Richteramt inne. Kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Württemberg und dem Bund zwangen Reuchlin allerdings erneut zum Verlassen seiner Heimat. Seit 1519 lehrte er mit großem Erfolg an der Universität Ingolstadt, wo er am 29. Februar 1520 zum Professor für Griechisch und Hebräisch bestellt wurde. Ende 1521 kehrte er nach Württemberg zurück und lehrte bis zu seinem Tod in Tübingen. Reuchlins wichtigste Veröffentlichungen nach 1500 galten der jüdischen Sprache und Literatur. Nachdem er bereits 1506 eine hebräische Grammatik herausgebracht hatte, legte er 1512 eine Edition der hebräischen Bußpsalmen mit einer lateinischen Übersetzung vor. Es folgten 'De arte cabbalistica' (1517) und 'De accentibus et orthographia linguae hebraicae' (1518). Am 30. Juni 1522 starb Johannes Reuchlin, der sich wie kein anderer deutscher Humanist für den Dialog zwischen Christen und Juden eingesetzt hat. Verf.: cbk. Schreiber von Handschriften:
Literatur:Dall'Asta, M. / Dörner, G. unter Mitwirkung von S. Rhein (Hgg.): Johannes Reuchlin Briefwechsel, Bd. I. 1477-1505. Stuttgart-Bad Cannstatt 1999. Distel, T.: Eine Reuchlin-Übersetzung aus dem Ende Juli 1495. In: Zeitschrift für vergleichende Literaturgeschichte NF 3 (1890), S. 360f. Distel, T.: Die erste Verdeutschung des 12. Lukianischen Totengesprächs – nach einer urtextlichen Handschrift – von Johann Reuchlin (1495) und Verwandtes aus der Folgezeit. In: Zeitschrift für vergleichende Literaturgeschichte NF 8 (1895), S. 408-417. Dörner, G.: Reuchlin (Rochelin, Roechlin; Capnion), Johannes. In: VL Deutscher Humanismus 2 (2013), Sp. 579-633. Württemberg im Spätmittelalter. Katalog bearb. von J. Fischer, P. Amelung u. W. Irtenkauf, Stuttgart 1985, S. 129f., 163f. und Nr. 175. Greschat, I. (Hg.): Johannes Reuchlins Bibliothek. Gestern & Heute. Schätze und Schicksal einer Büchersammlung der Renaissance. Ausstellung im Stadtmuseum Pforzheim, 9. September — 11. November 2007, aus Anlass der Wiedererrichtung des Reuchlinkollegs an der Pforzheimer Schloss- und Stiftskirche St. Michael. Katalog bearbeitet von M. Dall'Asta u. G. Dörner. Heidelberg u.a. 2007. Ludwig, W.: Graf Eberhard im Bart, Reuchlin, Bebel und Johannes Casselius. In: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 54 (1995), S. 34-60. Mertens, D.: Reuchlins Landesherr Eberhard im Bart. Variationen zum Thema 'Politik und Humanismus'. In: Rhein, S. (Hg.): Reuchlin und die politischen Kräfte seiner Zeit. Sigmaringen 1998, S. 225-249 (online). Poland, F. (Hg.): Reuchlins Verdeutschung der ersten olynthischen Rede des Demosthenes (1495) (Bibliothek älterer deutscher Übersetzungen 6). Berlin 1899. Rhein, S.: Johannes Reuchlin (1455-1522). Ein deutscher „uomo universale“. In: Schmidt, P. G. (Hg.): Humanismus im Deutschen Südwesten. Biographische Profile. Im Auftrag der Stiftung "Humanismus heute" des Landes Baden-Württemberg. Sigmaringen 1993, S. 59-75. Rhein, S.: Johannes Reuchlin als Dichter. Vorläufige Anmerkungen zu unbekannten Texten. In: Pforzheim in der frühen Neuzeit. Hg. von H.-P Becht. Sigmaringen 1989, S. 51-80. Worstbrock, F. J.: Deutsche Antikerezeption 1450-1550. Teil 1: Verzeichnis der deutschen Übersetzungen antiker Autoren. Mit einer Bibliographie der Übersetzer (Veröffentlichungen zur Humanismusforschung 1). Boppard am Rhein 1976, Nr. 160, 176, 269, *3, *4. Worstbrock, F. J.: Zur Einbürgerung der Übersetzung antiker Autoren im deutschen Humanismus. In: ZfdA 99 (1970), S. 45-81. | Quelle: Rhein, S.: Johannes Reuchlin (1455-1522). Ein deutscher „uomo universale“. In: Schmidt, P. G. (Hg.): Humanismus im Deutschen Südwesten. Biographische Profile. Im Auftrag der Stiftung "Humanismus heute" des Landes Baden-Württemberg. Sigmaringen 1993, S. 59-75, S. 65, Abb. 1. Quelle: Thomas Murner: History Von den fier ketzren Prediger ordens der obseruantz zu Bern jm Schweytzer land verbrant. [Straßburg: Johann Prüß], 1521 = VD16 M 7063, Bl. 3a. Quelle: Heidelberg, UB, Cpg 482, Bl. 100v. |