MRFH | Marburger Repertorium zur Übersetzungsliteratur im deutschen Frühhumanismus |
Heinrich Steinhöwel
Zeittafel
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Leben und WerkDer Ulmer Stadtarzt Heinrich Steinhöwel gilt als einer der erfolgreichsten Autoren im deutschen Frühhumanismus. Sein deutschsprachiges Oeuvre zeichnet sich durch eine große Vielfalt an literarischen Gattungen und Stofftraditionen aus. Anders als sein Übersetzerkollege Niklas von Wyle greift Steinhöwel nicht nur auf humanistische Texte zurück, sondern bestimmt sein literarisches Programm stets danach, ob etwaz nutzbars hochsynnigs vnd gůtes in latinischer geschrift gesetzet waere. das in teutsche sprache zetransferieren [...] vnd das die teutschen der latine vnkúnnend soellicher gůtheyt auch nit waeren beraubet. ('Spiegel des menschlichen Lebens', zitiert nach dem Ausgburger Erstdruck von 1475, Bl. 7r). Abgesehen von seiner medizinischen Schrift, dem 'Büchlein der Ordnung der Pestilenz' (1446), sind in seinem Werk spätantiker Prosaroman, Chronistik und Ständespiegel ebenso vertreten wie die Aesopischen Fabeln, Poggios Fazetien sowie Petrarcas ‚Griseldis’ und Boccaccios ‚De claris mulieribus’.Ebenfalls als Herausgeber lateinischer Humanistentexte hat sich Heinrich Steinhöwel einen Namen gemacht. Parallel zu seinen Übersetzungen verlegte er zusammen mit dem Ulmer Drucker Johann Zainer in den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts Petrarcas Epistolae seniles XI,11, seine 'Historia Griseldis' sowie Boccaccios 'De claris mulieribus'. Die Ulmer Ausgabe ist die editio princeps des Boccaccio-Textes, und sie bleibt mit ihren herausragenden Holzschnitten die maßgebliche Ausgabe auf dem europäischen Buchmarkt der Inkunabelzeit. Wohl ebenfalls noch von Heinrich Steinhöwel veranlaßt dürfte auch die humanistische Programmschrift Leonardo Brunis, die lateinische Übersetzung der Basileius-Schrift 'De legendis libris gentilium', sein, die Johann Zainer 1478 nach einer von Martin Prenninger bearbeiteten Vorlage (Amelung Nr. 31) herausgab. Der junge Prenninger, der spätere Rat Eberhards im Barte und Freund Marsilio Ficinos, weilte im Frühjahr 1478 in Ulm, wie der Eintrag seines Namens unmittelbar neben dem von Heinrich Steinhöwel in dem Liber Fraternitatis der Heilig Geist-Bruderschaft belegt, das als früheste deutsche Mitglieder eine große Anzahl Ulmer Bürger verzeichnet. Steinhöwels Schwager Hans Harscher hat im Juni 1478 diese Gruppe stellvertretend in Rom in die Bruderschaft aufnehmen lassen. Steinhöwel schätzte — wie auch andere Frühhumanisten — die Schrift des Basileius, hiervon zeugt u.a. seine Vorrede zum 'Aesop', die auf die lere sancti Basilii (Österley, S. 4) Bezug nimmt. Seine größten Erfolge erzielte der Übersetzer Steinhöwel mit seiner 'Griseldis' (1461/62) und seinem 'Aesop', der erstmals 1476/77 in einer lateinisch-deutschen Ausgabe in Ulm auf den Markt kam. Die hohe Überlieferungsdichte beider Werke zeugt von der enormen Beliebtheit dieser Übertragungen: bis 1500 ist die 'Griseldis’ in 12 Handschriften und 14 Drucken bezeugt; der ’Aesop’ in 13 Inkunabeln, 3 Druckabschriften sowie 2 Bearbeitungen in niederdeutscher bzw. ripuarischer Sprache. Auch im 16. Jahrhundert werden beide Werke in zahlreichen Druckauflagen und Bearbeitungen verbreitet. Zum literarischen Erfolg Steinhöwels hat nicht zuletzt sein Engagement für das neue Buchdruckergewerbe und seine enge Zusammenarbeit mit dem Ulmer Drucker Johann Zainer beigetragen. Nachdem Steinhöwel zunächst den 'Apollonius' und die 'Griseldis' bei Günther Zainer in Augsburg zum Druck gab, veranlasste er 1472 dessen Bruder Johann Zainer, sich in Ulm niederzulassen. Seine Stellung als Stadtarzt erlaubte es ihm, dem Drucker finanzielle Beihilfen für den Aufbau der Werkstatt zu gewähren und ihm aufgrund der aufwendigen Ausstattung der von ihm initiierten Drucke auch erhebliche Summen für Druckkosten vorzuschießen. Alle Ulmer Erstausgaben seiner Übersetzungen und der hierzu parallel veröffentlichten lateinischen Texte tragen als Zeichen geleisteter Mitfinanzierung das Wappen der Familie Steinhöwel, zwei gekreuzte Steinhauen. Steinhöwel gehörte einem alten ratsfähigen Geschlecht in Eßlingen an; er heiratete in die vermögende Augsburger Patrizierfamilie der Egen ein und verfügte über beträchtlichen Grundbesitz vor den Toren Ulms. Damit müssen wir ihn zu jener ambitionierten Schicht des Stadtadels zählen, die dem umgebenden Landadel durchaus ebenbürtig war. Sein deutschsprachiges Publikum ist, wie die frühe handschriftliche Überlieferung bezeugt, zunächst in diesem persönlichen Lebensraum des Autors zu suchen. So zählen für seine Frühwerke, den 'Apollonius' und die 'Griseldis’, zu den ersten Handschriftenbesitzern: die im oberschwäbischen Raum ansässigen Grafen von Kirchberg, die zum aufstrebenden Patriziat zählenden Konrad und Jacob von Kilchen aus Lindau oder auch Konrad Beck aus Mengen, der in Begleitung Johann Werners Freiherrn von Zimmern eine Reise ins Heilige Land unternahm und als göttid seiner Kinder bedeutende Vertreter des schwäbischen Adels wie die Grafen von Helfenstein, den truchsäss hans zu waltpurg, die Gräfin fraw von kinseck, [...] Margereth gräffin zu sonnenberg nennt. Beruflich wie literarisch scheint Steinhöwel auch mit verschiedenen Höfen des Hochadels in Kontakt gestanden zu haben. So bezeugt Jacob Püterich in seinem Ehrenbrief bereits 1462 für die Bibliothek der Pfalzgräfin Mechthild: Grisel Melusin und Statschreibers Püechelein (Grisel ist der Name des Bauernmädchens Griseldis in Steinhöwels Bearbeitung und mit Stadtschreibers Püchelein dürften Wyles erste Translatzen gemeint sein; vgl. zu dieser Überlieferungseinheit auch den Heidelberger Codex Cpg 119). Ihr Sohn Eberhard im Barte besaß 1474 die Erstausgabe von Steinhöwels Tütscher Cronica. Der Kontakt zur Pfalzgräfin Mechthild mag bereits 1454 hergestellt worden sein, als Steinhöwel im Sommer als Leibarzt des burgundischen Herzogs Philipp des Guten zunächst zum Stuttgarter Hof Graf Ulrichs und seiner Gemahlin Margarethe von Savoyen und dann nach Rottenburg, zum Hof Mechthilds von der Pfalz, reiste, um schließlich den Herzog noch zum berühmten Freiburger Hoffest Erzherzog Albrechts VI. von Österreich, Mechthilds zweitem Gemahl, zu begleiten. Hier lernte Steinhöwel wohl auch, wie sein Brief an den Ulmer Rat nahelegt, den Markgrafen Rudolf von Hachberg-Röteln, den Rat und Kammerherrn des burgundischen Herzogs, kennen, dem Thüring seine 'Melusine' widmet. Verbunden bleibt Steinhöwel auch später zumindest dem Württembergischen Hof, an dem ab 1469 auch Niklas von Wyle als 2. Kanzler wirkte. So ist uns ein Brief Steinhöwels an Margarethe von Savoyen aus dem Jahre 1474 erhalten, dessen freundschaftlich-vertrauter Ton auf engere persönliche wie berufliche Beziehungen zur gräflichen Familie schließen läßt. Bezeugt sind auch Kontakte zum Augsburger Bischof, Graf Johann von Werdenberg, an dessen Dillinger Hof Steinhöwel 1475 weilte und hier mit dem jungen Maximilian zusammentraf. Darüber hinaus sind seine großen Übersetzungswerke der siebziger Jahre – 'Von den erlauchten Frauen', der 'Spiegel des menschlichen Lebens' und sein 'Aesop' durch ihre Dedikationen sämtlich mit dem Innsbrucker Hof Sigmunds von Tirol und seiner Gemahlin Eleonore von Schottland verbunden. Verf.: cbk. Schreiber und Besitzer von Handschriften: Literatur:Amelung, P.: Der Frühdruck im deutschen Südwesten 1473-1500. Eine Ausstellung der Württemb. Landesbibl. Stuttgart 1979, S. 17-19, Nr. 5-6, 9-14, 28, 31-32, 49 u, 79, . Bertelsmeier-Kierst, C.: Zur Rezeption des lateinischen und volkssprachlichen Boccaccio. In: Aurnhammer, A./ Stillers, R. (Hgg.): Giovanni Boccaccio in Europa. Studien zu seiner Rezeption in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissance-Forschung 31). Wiesbaden 2014, S. 131-153, hier S. 137-146. Bertelsmeier-Kierst, C.: Übersetzungsliteratur im Umkreis des deutschen Frühhumanismus: Das Beispiel 'Griseldis'. 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Ihr Leben und Werk. Berlin 1993, S. 51-70. Terrahe, T.: Poetologische Transformationen bei Heinrich Steinhöwel. In: R. Toepfer/J.K. Kipf/J. Robert (Hgg.): Humanistische Antikenübersetzung und frühneuzeitliche Poetik in Deutschland (1450-1620) (Frühe Neuzeit 211), Berlin/Boston 2017, 439-460. Terrahe, T.: Heinrich Steinhöwels 'Apollonius'. Edition und Studien (Frühe Neuzeit 179). Berlin / Boston 2013. Terrahe, T.: Neue Befunde zu Heinrich Steinhöwel und zur Datierung seines 'Apollonius'. In: ZfdA 142 (2013), S. 217-227. | Heinrich Steinhöwel: Spiegel menschlichen Lebens; Quelle: *München, BSB, Cgm 1137, Bl. 281v. Quelle: Karlsruhe, LB, 1 in 42 A 1932, 14 RH (mit freundlicher Genehmigung der LB). Wappen Heinrich Steinhöwels Quelle: Bodemann, U.: Fabula docet. Illustrierte Fabelbücher aus sechs Jahrhunderten. Ausstellung aus Beständen der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel und der Sammlung Dr. Ulrich von Kritter (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek 41). Wolfenbüttel 1983, Nr. 28, S. 90. München, BSB, Cgm 305. Autograph Steinhöwels. Brief an Margarete von Württemberg. |